Ankauf David Reed
Der in New York lebende Künstler David Reed (*1946, San Diego) gehört seit den 1970er Jahren zu den bedeutendsten Vertretern abstrakter Malerei. Sein Schaffen wird in namhaften Institutionen weltweit gezeigt und war in grossen thematischen Ausstellungen zur zeitgenössischen Malerei stets prominent vertreten. Im Kunst Museum Winterthur steht es zurzeit im Zentrum der erfolgreichen Überblicksausstellung Frozen Gesture. Die Geste in der Malerei. Zudem ist sein Werk in wichtigen öffentlichen Sammlungen vertreten, u.a. im Guggenheim Museum, New York, im Metropolitan Museum of Art, New York, im Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main, im Kunstmuseum Bonn und im Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien.
David Reed lotet verschiedene Möglichkeiten der malerischen Abstraktion aus – von der Gestik bis zur monochromen Farbfeldmalerei. Seine eigenständige Beschäftigung mit unterschiedlichen Tendenzen, welchen er in der New Yorker Szene um 1970 begegnete – Abstrakter Expressionismus, Minimalismus und Pop Art – findet ebenso Niederschlag in seinem Werk wie seine Begeisterung für die Malerei von der Spätrenaissance über den Barock bis zu hin zu den «Tags» der Street Culture. Der expressive Gestus des Abstrakten Expressionismus wird bei Reed transzendiert oder mutiert zur ornamentalen Figur. Reed versteht es, in diesen klassischen Anleihen auch die visuellen Erfahrungen aus den Neuen Medien einfliessen zu lassen, die unsere Wahrnehmung der Welt seit den 1960er Jahren grundlegend verändert haben. Es sind die Eigenschaften der cinemaskopischen Filmleinwand, die grelle Beleuchtung und die künstliche Farbigkeit ihrer Bilder, die Reed adaptiert und in eine spektakuläre zeitgenössische Malerei überführt. Diese verschiedenen spannungsreichen Widersprüche begründen die grosse Anziehungskraft von Reeds Gemälden, ihre stark emotionale Wirkung und ihre sinnliche Qualität.
Sammlungszusammenhang
Das Kunst Museum Winterthur erwarb 2018 bereits eines der charakteristischen Querformate für die Sammlung: #679, 2015 – 17 (Alkyd und Acryl auf Polyester, 71 x 83 cm). Das wunderbar geheimnisvolle Tafelbild soll nun um ein weiteres Gemälde und eine Serie von Zeichnungen zu einem schweizweit einzigartigen Ensemble des Künstlers erweitert werden. Mit den vorgeschlagenen Ankäufen soll die bedeutende Sammlung amerikanischer Nachkriegsmalerei in der Winterthurer Sammlung konsequent weiterentwickelt und um eine herausragende künstlerische Position von heute ergänzt werden. In Reeds Schaffen verbinden sich zudem die weit zurückreichenden Traditionen der Malerei mit den visuellen Erfahrungen der Gegenwart.
Ankauf (2 Arbeiten)
#707, 2016-2019, (Acrylic on polyester, 193 x 30 cm)
In den 1970er Jahren schuf Reed Gemälde, in denen er die Farbe nass in nass mit dem Pinsel direkt auf die frisch grundierte Leinwand auftrug. Die Bildtafeln wiesen ungefähr Türgrösse auf. Jeder der horizontalen Striche war genauso lang, wie Reeds Arm reichte, ohne dass er seine Position vor dem Bild ändern musste. Die Gemälde vermessen daher buchstäblich die Ausdehnung von Reeds Körper. Die Farbschlieren bezeugen die Schwerkraft, die flüssige Beschaffenheit der Farbe. Die Werke dokumentieren sowohl konkrete Zeit wie konkreten Raum. Als Reed sich nach einer vom Künstler Christopher Wool 2017 für die Gagosian Gallery organisierten Einzelausstellung erneut seinem Frühwerk zuwandte, tat er dies mit dem umfassenden Wissen um die Möglichkeiten des Mediums, das er sich im Verlauf seiner künstlerischen Laufbahn angeeignet hatte. Er kombinierte mehrere schmale Bildtafeln und bearbeitete sie in einem ersten Schritt als Einheit nass in nass. Anschliessend separierte er die einzelnen Leinwände, um sie mit sogenannten «stencils», d. h. Schablonen von auf dem Computer bearbeiteten Pinselstrichen, zu überarbeiten. Die ursprüngliche Einheit von Raum und Zeit wurde aufgehoben zugunsten einer Überlagerung von unterschiedlichen Werkprozessen: Die Unmittelbarkeit des malerischen Auftrags trifft auf eine vermittelte, reproduzierte Bildform, ein Abbild der Geste. Im Rückgriff auf sein Frühwerk entwickelt Reed in seiner jüngsten Werkserie die Möglichkeiten seiner Malerei entscheidend weiter. Das Gemälde #707 (2016-2019) wäre daher eine ideale Ergänzung für das im Entstehen begriffene Ensemble des Künstlers in Winterthur.
Zeichnungen zu den Gemälden #653 – #656, 2016 (Mischtechnik auf isometrischem Papier, 28 x 18 cm, 43 Arbeiten)
«Glaze over as little white as possible» ist in feinem Bleistiftstrich auf vollgekritzeltem isometrischem Papier zu entziffern. Neben exakt datierten maltechnischen Fragestellungen und künstlerischen Entscheidungen finden sich Kommentare zu Atelierbesuchen wie «Udo Kittelmann in studio» –, private Notizen, unzählige Kompositionsstudien und Farbproben sowie kopierte Filmstills. Es ist, als würde man beim Betrachten seiner Working DrawingsReed bei der Entwicklung seiner Malerei beiwohnen. Der Künstler gewährt einen Blick „hinter die Kulissen“ in die vielschichtigen Überlegungen und die möglichen Quellen seiner Arbeit in der Kunst- und Filmgeschichte. Die ausgewählte Werkserie, eine der seltenen zusammenhängenden Werkblöcke, bezieht sich auf eine mehrteilige, zusammenhängende Gruppe von Gemälden, die der Künstler 2016 für eine Ausstellung in der Galerie von Peter Blum in New York realisierte. Es wird deutlich, wie minutiös Reed seine Gemälde plant, wie überlegt er seine Malerei vorantreibt und immer wieder selbst überprüft. Hier wird auch klar, dass die auf den ersten Blick spontanen gestischen Spuren präzise kalkuliert sind.
«Meine Bilder zeigen einen alles durchdringenden, nicht verorteten, unendlichen Raum, den ein sehr eigenartiges mediales Licht durchflutet. Ich möchte diesen Raum aufbrechen, damit er in den Ausstellungsraum hineinreicht und sich dem Betrachter nähert. Was zählt ist die Interaktion, die zwi-schen Bild und Betrachter stattfindet. Es gibt kein einfaches Ganzes.» (David Reed). Mit seinen Working Drawings ermöglicht Reed einen unmittelbaren Eindruck des Entstehens dieses Ganzen. Mit der Arbeit Working erhielte das Kunst Museum Winterthur erstmals überhaupt einen konzisen Einblick in sein reiches zeichnerisches Oeuvre, das seinen Schaffensprozess vorwegnimmt, begleitet, dokumentiert, kommentiert und zugleich jenen Denkraum öffnet, in dem sich Malerei ausformuliert.
David Reed
David Reed wurde 1946 in San Diego geboren und besuchte die Skowhegan School of Painting sowie die New York Studio School. Sein Schaffen wird seit den 1970er Jahren in Galerien in den USA und in Europa und ab den 1990er Jahren in bedeutenden Institutionen gezeigt, so u.a. im Kölnischen Kunstverein (1995), in der Neuen Galerie des Landesmuseums Joanneum in Graz (1996), im MOMA PS 1, Contemporary Art Center in New York (1998), im Kunstverein Hannover (2001), im Kunstmuseum Bonn (2012), im Museum Haus Lange in Krefeld (2015), im Hamburger Bahnhof, Museum für Gegenwart, Berlin (mit Mary Heilmann 2015) und im Pérez Art Museum, Miami (2017). Prominent vertreten war sein Werk auch in den wichtigen Übersichtsausstellungen zur zeitgenössischen Malerei, u.a. Der Zerbrochene Spiegel, in der Kunsthalle Wien (1993), Nueva Abstraccionesin der Reina Sofia, Madrid (1996), Ornament und Abstraktionin der Fondation Beyeler, Basel 2001) Painting Picturesim Kunstmuseum Wolfsburg, (2003), Painting 2.0. im Museum Brandhorst, München (2015) und aktuell im Kunst Museum Winterhur in der Ausstellung Frozen Gesture.