Kunstpreis Galerieverein Winterthur 2021
Mit Dave Bopp zeichnet der Galerieverein einen Künstler aus, dessen Bilder ästhetisch und technisch zeitgenössischer kaum sein könnten. Das Betrachten seiner Werke erinnert an den Blick auf einen Screen, wie er mittlerweile zur gewohnten Bildästhetik für uns geworden ist. Das ist allerdings bloss ein Gefühl, das die Gemälde mit ihren brillanten Farben nebenbei hervorrufen, denn was das Publikum betrachtet ist weder digital produziert noch beschäftigen sich seine Bilder mit Digitalität. Aber es verdeutlicht wie stark seine Gemälde in der Gegenwart verankert sind. Was Bopp hingegen aktiv tut, ist Bildtiefen und Farbräume zu erkunden, welche die Betrachterinnen und Betrachter in bester Tradition der abstrakten Malerei sowohl in einen Farbrausch als auch in einen universellen Illusionismus versetzen. Gekonnt spielt er dabei mit den Mitteln der klassischen Malerei und überführt sie mit Hilfe neuster Technik und Materialien in die aktuelle Zeit.
Nachdem die Farbe sich im Impressionismus von der Form zu lösen und ihr eigenes Leben zu führen begann – wie sie es in vielen Gemälden im Saal in dem wir uns hier befinden wunderbar sehen können – entwickelten sich immer heftigere Abstraktionsbewegungen. Schon bald wurde die Malerei in die komplette Ungegenständlichkeit und zum Nullpunkt geführt – sinnbildlich dafür steht das schwarze Quadrat von Kasimir Malewitsch. In der Folge wurde die Malerei in regelmässigen Abständen für tot erklärt, ohne aber an Faszination einzubüssen. Sie blieb immer ein Fenster in eine eigene, von Künstlerinnen und Künstlern komponierten Welt, sei diese Gegenständlich oder Ungegenständlich. Ein heftiges Comeback feierte sie nach dem 2. Weltkrieg in New York als die Maler der sogenannten New York School die folgenreiche Ära des Abstrakten Expressionismus einläuteten. Künstler wie Willem de Kooning oder Barnett Newman schufen eine komplett neue Ästhetik. Davon beeinflusst machte Jackson Pollock die Leinwand mit seiner radikalen Freisetzung des Malprozesses zur «Arena» der Aktion, Energie und Spontanität. Der Kunsttheoretiker Harold Rosenberg prägte in Bezug auf Pollock den Begriff der Aktionsmalerei. In den Drip Paintings werden traditionelle Kompositionsregeln aufgelöst, es gibt weder Motiv, Hintergrund, ein Oben oder Unten, noch ein Zentrum. Die Gemälde werden deshalb auch als All-over-Paintings bezeichnet. Eine neue komplett ungegenständliche Malerei war geboren, die durch ihren energetischen Charakter einerseits Performance-Charakter annahm, andererseits zu einer eingehenden Selbstuntersuchung der malerischen Mittel führte. Diese wurde mit ihren eigenen Mitteln regelrecht seziert und in Form von Gemälden besser untersucht als jede Theorie es je könnte. Die Kraft der Farben, Emotionen auszulösen und eine Interaktion zwischen Raum und Betrachterinnen und Betrachtern sowie deren Wahrnehmung und Intellekt zu fordern, ist ungebrochen.
Für Kunstschaffende wie Dave Bopp, die heute eine ungegenständliche Malerei pflegen, ist es anspruchsvoll vor diesem Hintergrund zu einer eigenen Handschrift zu finden. Bopp begegnet der hier nur rudimentär angetönten Tradition der Malerei mit rotzig-frecher Attitüde. Er baut dabei bewusst auf vielen der genannten Elemente der Aktionsmalerei auf, entwickelt daraus aber eigene, prozesshafte Vorgehensweisen zur Produktion seiner Gemälde. Ob man seine Bilder dabei überhaupt als Malerei bezeichnen kann, ist fraglich. Die rechteckige Form, die komplett mit Farbe bedeckte Sichtseite und die an der Wand hängende Platzierung, suggerieren es jedenfalls. Statt Leinwand verwendet Bopp jedoch Aluplatten und statt Ölfarben und Pinsel Lackfarben und Schablonen. Auch er legt den Malgrund flach auf den Boden und giesst die Farbe auf die Platten. Dort lässt er sie sich ihrer Dynamik und Trägheit entsprechend flächig ausbreiten, ineinanderfliessen oder er zieht sie allenfalls mit Hilfe von Werkzeugen über die Flächen. Die einzelnen Schichten lässt er trocknen, fotografiert sie und entwickelt sie am Computer im Photoshop weiter. Sobald ihn die Weiterentwicklung überzeugt, maskiert er die getrockneten Oberflächen mittels Schablonen dort, wo er sie unverändert belassen will und trägt neue Farbschichten auf. So überlagert er Farbschicht um Farbschicht zu einer reliefartigen, dichten, kosmischuniversellen Farbtopografie, die zwischen sorgfältiger Planung, vorsätzlichem Kontrollverlust und aktiver Intervention entsteht. Diese reliefartigen Überlagerungen verleihen seinen Werken eine hohe Plastizität. Zudem vermitteln die gewählten Formate und Materialien wie Aludibond-Platten und knallig-glänzende Lackfarben eine zeitgenössische Ästhetik. Bopp kombiniert damit gekonnt die Parameter der Aktionsmalerei mit den digitalen Werkzeugen von heute.
Für die Handhabung der Farben greift er auf seine minutiös dokumentierten Erfahrungen im Fliess- und Mischverhalten zurück. Doch trotz der systematischen Komposition am Computer, wo er für jede Farbschicht mehrere Varianten durchspielt, bleibt der Giessprozess ein alchemistisches Experiment, das nie komplett kontrollierbar ist. Hier lässt sich der Künstler von den Farben leiten, die ihr Eigenleben entwickeln. Diese Lebendigkeit überträgt sich auf die Betrachterinnen und Betrachter. Sie werden sofort in den Bildraum involviert und von den gegensätzlichen organischen und geometrischen Formen angezogen.
Hinzu kommt eine bewusste Überforderungsstrategie des Künstlers, die im Werk, das in der Dezemberausstellung in der Kunsthalle hängt, wunderbar zum Ausdruck kommt. Nicht nur das Format, des mit «Aftermath», also Nachwirkungen, betitelten Bildes ist riesig, sondern auch die Farbexplosion, die sich in kleinteilige Verästelungen aufsplittert. Die Betrachterinnen und Betrachter fragen sich, ob sie in einen Mikrokosmos oder einen Makrokosmos blicken. Hier löst sich die Farbe nicht von den Formen, sondern die Farbe ist die Form, die ein energetisches, in sich verschachteltes Feld bildet, von dem die Betrachterinnen und Betrachter angezogen werden, bis sie darin zu verschwinden drohen. Sie fallen in die Tiefe des Bildraums, obwohl diese aalglatt und hermetisch geschlossen ist. Dieses Paradox setzt sich bei der Betrachtung durch ständiges Hinein- und Herauszoomen fort, bei dem unaufhörlich neue Details in den Bildern entdeckt werden. Die Zufälle und den Materialien immanenten Eigenheiten, die Bopp immer wieder in anderer Form – und in anderen Formen – sucht und produziert, füllen seine Bilder mit einer vibrierenden Lebendigkeit. Diese Lebendigkeit, die er gekonnt mit den reichen Traditionen der abstrakten Malerei verbindet, machen seine Bilder zu einem Fest der Sinne und erzeugen gleichzeitig intellektuelle Nachwirkungen.
Das Kunst Museum Winterthur gratuliert Dir, lieber Dave, zum Preis des Galerievereins und wünscht Dir weiterhin viel Erfolg mit Deiner aussergewöhnlichen Malerei.
Lynn Kost
Winterthur, 27.11.2021